Irgendetwas fühlt sich heute morgen auf dem Motorrad vollkommen seltsam an. Es wabbelt so daher, hält nicht richtig die Spur – ich sollte mal den Reifendruck kontrollieren. Bei Interlaken fahre ich hinaus, mittlerweile fühle ich mich total unwohl und unsicher und ich steuere die nächste Tankstelle an. Auf meine Reifen geschaut, der Vorderreifen ist okay, Lenkprobleme hatte ich auch nicht; als ich dann den Hinterreifen sehe, trifft mich fast der Schlag!!! E hat so gut wie keine Luft mehr, die Seiten haben kein Profil, in der Mitte sieht er noch halbwegs normal aus. Als ich dann den Fülldruck kontrolliere, liegt der bei 0,4 PSI, statt normalerweise bei 2,7. Ich muss den Reifen gestern kaputtgefahren haben und wenn ich darüber nachdenke, war so ein eigenartiges Gefühl auch gestern unterwegs schon zu spüren. Ich hatte mir dabei aber nichts gedacht. Mit dem Reifen kann ich aber nicht mehr weiterfahren, es ist ohnehin ein mittleres Wunder, dass bisher nichts passiert ist und ich mich nicht auf die Nase gelegt habe. Den Reifen wieder auf seinen normalen Druck gebracht, getankt und dann an der Kasse gezahlt. Ich frage die freundliche Kassiererin, ob sie eventuell einen Reifenhändler oder eine Motorradwerkstatt in der Nähe kennt. Sie antwortet nein, ich entgegne, sie arbeite aber einer Tankstelle und eigentlich sollte sie so etwas wissen. Und dann kommt der blödeste Nachsatz, den ich seit langem gehört habe: „ich bin eine Frau, mein Mann kümmert sich um so etwas“. Der zweite Teil des Satzes wäre ja noch okay, der erste Teil des Satzes geht nun gar nicht.
So gut, so schlecht, was nun. Ich fahre mal los, in „die Stadt“ hinein, Interlaken ist nicht so groß und halte Ausschau nach einem Geschäft – ziemlich sinnlos. Ein Wegweiser „Polizei“ bringt mich auf die Idee dort nachzufragen. Gesagt, getan, die Polizei, dein Freund und Helfer gibt mir den Tipp eines Motorradhändlers am Ende der Stadt. Blöderweise habe ich heute mein Navi vergessen, ist mir auch noch nie passiert, somit nutze ich den Ministadtplan der Polizei, in der linken Hand haltend fahrend und kämpfe mich bis zum Geschäft vor. Natürlich, wie nicht anders zu erwarten, gibt es diese Dimension dort nicht. Zugegeben, ich hatte auch nicht damit gerechnet, denn es ist eine total untypische Reifendimension, die es nur für Großroller gibt und diese sind hier nicht unterwegs. Der freundliche Herr (auch Schwitzer Dütsch
ist eine Fremdsprache und sehr schwer zu verstehen) erklärt mir den Weg zum nächsten Motorradgeschäft, 25 Kilometer entfernt in Thun. Also erst mal wieder zur Tankstelle, Reifendruck wieder auf normal Druck gebracht und dann nach Thun. Zwischenzeitlich gehe ich meine Möglichkeiten durch. Das bei äußerst vorsichtiger Fahrweise, die Geschwindigkeit ist egal, denn in der Mitte ist der Reifen ja okay, aber keine schrägen Belastungen der Reifen, da fehlt total das Profil und der Gummi ist so dünn, dass er eventuell aufgehen könnte. Wenn ich Glück habe, finde ich ja den empfohlenen Händler oder einen anderen in der Nähe. Oder aber, nachdem ich morgen ja überwiegend Autobahn fahre und ich jede Tankstelle zum Nachfüllen anfahre, sollten die 200 Kilometer auch zu schaffen sein, mit viel Bauchweh, aber es sollte gehen. Ein neuer Reifen wäre natürlich die optimale Lösung!
Werkstätten in fremden Städten ohne Navi zu finden, nur aufgrund von Erklärungen, ist nicht ganz einfach. Ich lerne Thun sehr intensiv kennen, eine ca. einstündige Stadtführung mit ausgedehnter Rundfahrt und einem Reifenfüll-Stopp. Schlussendlich lande ich bei einer anderen Tankstelle, die mir dieselbe Beschreibung gibt, ich habe das Geschäft aber nicht gefunden. An einer Kreuzung begegne ich einem Motorradfahrer, frage ihn und er lotst mich zum besagten Geschäft, es ist doch etwas versteckt und nicht gleich von der Straße aus zu sehen – tausend Dank!!! Es ist mittlerweile 12:23. Tja, Pech gehabt – zwischen 12 und 13:30 Uhr ist Mittagspause. Es bewegt sich auch nichts und niemand ist in der Werkstatt. Da höre ich ein Motorrad aus einer Tiefgarage hinaufkommen, es hat keine Nummerntafel und der Fahrer der oben sitzt, hat auch keinen Helm. Also eine Test-Probefahrt nach einer Reparatur/einem Service oder so. Er biegt dann in meine Richtung ab und ich halte ihn auf. Mein Problem erkläre ich ihm kurz und jetzt kommt dass, was ich sonst auch immer bekomme, wenn ich sage, dass ich mit meinem Gefährt jetzt 4 Wochen und 5.700 Kilometer unterwegs war und woher ich eigentlich komme – der kleine Umweg über die Insel Skye zurück nach Wien – es gibt ein Lächeln: „Was, das mit diesem Roller?“ Dass das kein Roller, sondern ein vollverkleidetes Mittelklassemotorrad ist, muss ich dann immer erklären. Es ringt ihm dann doch Respekt ab und er hält mir seine Hand entgegen, mit dem Versprechen, gleich nach einem Reifen zu suchen. Und – oh Wunder – er findet einen. Ist zwar nicht die korrekte Dimension wie im Typenschein angegeben, aber die minimale Abweichung (Dimension 150/70 14 statt der richtigen 160/60 14) wird in der Schweiz toleriert. Ob das in Österreich der Fall ist, kann er mir nicht sagen, auch seine Kollegen nicht. Ich befürchte eher nein, trotzdem ist das um Klassen sicherer, als mit dem defekten Reifen zu fahren – und vorweggenommen – er fährt sich herrlich. „Mein“ Mechaniker sagt, er hat heute ohnehin keine Mittagspause, er geht nämlich heute früher, da er mit seiner Partnerin mit einem VW Bus ab morgen nach in die Skandinavischen Länder reist. Ich sage, da war ich letztes Jahr mit dem Roller – kein Lächeln ;-). Als Beweis zeige ich ihm an seinem Computer, er sucht noch nach dem Preis des Reifens, meine Blog Adresse www.spittler.at – ein neuer Leser. Ich bekomme dann noch einen Gutschein für ein Getränk im eigenen Café ausgehändigt und dann darf ich warten. Nach nicht einmal einer halben Stunde holt er mich ab und die Sache ist erledigt. Ich bedanke mich tausendmal bei ihm für die ganz ganz prompte Erledigung und dann kommt etwas, was eigentlich auch mein Lebensmotto ist – helfen wo man helfen kann. Seine und auch meine Begründung dafür ist: „Karma Punkte sammeln“ - es kommt alles irgendwann zurück – selten, dass es jemand so direkt ausspricht! Neben dieser Karma Erfahrung gibt es noch einen Grund für die ausführliche Beschreibung des Ablaufs. Vielleicht muss ich die abweichende Dimension vor der Polizei unterwegs erklären und das ist hiermit und der mitgeführten Originalrechnung geschehen.
Der Tag ist echt gerettet, die zweite Möglichkeit wäre nur eine unsichere Notlösung gewesen. So mache ich mich jetzt auf nach Grindelwald und schlendere ein wenig durch den Ort. Ich war vor Jahren schon einmal hier, doch seitdem hat sich sehr viel verändert. Ich frage im Tourist Office nach und der große Betonklotz ist neu – es gefällt der Dame im Office auch nicht, aber es war nicht ihre Entscheidung. Früher hat es hier wesentlich mehr Grünfläche gegeben. Ich werde den Vergleich hier in diesen Block stellen und lasse den Platz für das Bild unten leer.