Mittlerweile ist es schon Samstag und ich reiche ein paar Erlebnisse der nächtlichen Zugfahrt von Wien nach Hamburg nach sowie von der Fahrt von Hamburg nach Wuppertal.
Zunächst aber zur Zugfahrt - während ich noch alleine in "meinem" Abteil herumsitze und leicht transpirierend die vorhergehenden Zeilen schreibe, kommt ein noch älterer Herr wie ich ;-) ins Abteil und nimmt Platz. Er macht einen sehr netten Eindruck und irgendwoher kenne ich diesen Dialekt, er ist Oststeirer. Dazu gesellt sich ein jüngerer Bursch. Ich habe einen Gangsitzplatz entgegen der Fahrtrichtung, meine bisherigen zwei Begleiter sitzen am Fenster. Am Hauptbahnhof Wien werden noch zwei weitere Zuggäste zusteigen die bis Göttingen fahren. Ein Platz bleibt zunächst leer und wird später in Regensburg von einem weiteren Fahrgast besetzt. Somit ist das Abteil mal wieder vollkommen ausgebucht, das gleiche dürfte für den ganzen Zug gelten, da kein einziger Sitzplatz mehr frei zu sein scheint. Die Zeiten, an denen ich nachts mit der Eisenbahn gereist bin und ein Abteil oder zumindest die Hälfte eines Abteils für mich gehabt habe, sind endgültig vorbei. Das hat sich schon in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, wo wir wie die Sardinen nächtens im Abteil versucht haben, ein wenig Schlaf zu finden. Umso unverständlicher ist es, dass bei dieser anscheinenden Auslastung der Autoreise-Nachtzug von Wien (der größten Metropole in Österreich) nach Düsseldorf (in das Herz des bevölkerungsstärksten deutschen Bundeslandes) gestrichen wurde. Ich muss bei Gelegenheit die OEBB mal anschreiben, was das eigentlich sollte, diese Begründung wüsste ich nur zu gerne. So aber werde ich durch Nordrhein-Westfalen fahren und erst in Hamburg den Zug mit meinem Motorrad verlassen. Trotzdem sind es fast 600 leere Kilometer weniger, als wenn ich die gesamte Strecke von Wien nach Wuppertal fahren würde.
Der Zug hat sich langsam in Bewegung gesetzt und nach 2 Minuten hält er am Wiener Hauptbahnhof; dieser wimmelt nur so von Leuten - also gut besetzt der Zug ;-). Es steigen die zwei angekündigten Mitfahrenden zu, ein recht verliebtes Pärchen (stellt sich im Laufe der Zugfahrt heraus) jenseits der Lebensmitte. Der Zug setzt sich in Bewegung und wir werden, naja nicht alle, aber doch zumindest wir drei, die an der Verladestelle eingestiegen sind, die nächsten 12 Stunden miteinander verbringen. Das wird eine lange Zeit werden - wir sitzen also schweigend herum, es passiert so gut wie nichts, die Sonne geht jetzt endgültig unter und eine freundliche Zugbegleiterin steckt den Kopf zur Tür hinein. Mit der Frage, ob wir gerne etwas trinken oder essen möchten, trifft sie zumindest bei mir und dem noch älteren Herrn, den Nagel auf den Kopf: wir bestellen ein Bier - na also, es geht doch!
Immer noch kein Gespräch, es sind alle sehr intensiv mit ihren Handys beschäftigt. So entscheide ich mich ebenfalls mein Handy und meine Bluetooth Kopfhörer zu nehmen und gerade als ich beginne mein Hörbuch zu suchen, beginnt die erwartete Plauderei. Ich werde von dem Oststeirer gefragt, wer ich denn bin, wo ich hinfahre und was ich vorhabe. Recht viel Information in einer kurzen Zeit, aber er geizt zumindest auch nicht mit seinen Auskünften. Er ist mit seinem Enkel auf dem Weg nach Schweden, wo sein Enkel sich eine Existenz aufbauen möchte, so eine Art Zweig-Zweitgeschäft. Er ist nämlich Unternehmer in der Oststeiermark mit einem recht ansehnlichen Betrieb von mehr als 100 MitarbeiterInnen. Sehr interessant was er erzählt, er ist schon seit einiger Zeit pensioniert, macht aber einen total fitten Eindruck, er wird also so um die 70 Jahre herum sein. Seine Arbeit hat er geliebt, grammatikalisch stimmt die Zeit nicht, er liebt seine Arbeit und begleitet auch deswegen seinen Enkel nach Schweden. Übrigens ist er täglich in seiner Firma und schaut mal nach dem Rechten. Ich kann mir vorstellen, dass seine MitarbeiterInnen ihren Chef sehr gerne sehen, er ist echt nett. So stellen wir gemeinsam fest, dass wir doch beide im Grunde zu einer privilegierten Gruppe gehören - Menschen, denen ihre Arbeit sehr viel Spaß macht und schon fast als Hobby bezeichnet werden kann. Das ist ein wirkliches Privileg und kann leider nicht jeder von sich behaupten. Unter anderem erzählt er von zwei syrischen Flüchtlingen, die er als Lehrlinge aufgenommen hat. Nach anfänglichen Vorurteilen von Teilen seiner Belegschaft, möchten die Abteilungsleiter, denen sie zugeteilt wurden, sie nicht mehr hergeben. Sie sind sehr sehr wertvolle Mitarbeiter geworden. Schön, auch diese Seite zu hören!
Der jüngere Knabe lauscht unserem Gespräch schon die gesamte Zeit sehr intensiv, sodass es langsam an der Zeit ist, ihn ebenfalls ins Gespräch mit einzubeziehen. Für das Pärchen ist die Zeit noch zu früh, sie sind anderweitig beschäftigt. Wir fragen ihn also, was er so macht - er ist 20 Jahre alt, Student an der TU Wien und überführt einen Ferrari von Wien nach Hamburg. Eigentlich nicht wirklich, denn er ist nur dazu beauftragt, das Auto während der Fahrt zu bewachen. Wie das gehen soll, weiß ich nicht, denn es ist ja immerhin nicht im Abteil, sondern wurde auf dem Anhänger verladen. Naja, der Herr, für den er dies tut, wird schon wissen warum. In Hamburg angekommen hat er dann die Aufgabe es noch irgendwo hinzufahren, es wird dann von seinem Geldgeber wieder in Empfang genommen. Er fliegt nach Hamburg und benutzt nicht den Zug. Vorwegnehmen möchte ich, dass der Herr das Auto dann selbst von dem Anhänger gefahren hat, da es ihm möglicherweise dann doch zu kritisch war. Er hatte das Auto in Wien auch schon selbst auf den Autowaggon gefahren. Unser Student erzählte uns nämlich, dass an jeder Seite nur ca. 2 cm Patz seien, was aber durchaus ausreichen sollte. Um welchen Auftraggeber es sich hier handelt, werde ich natürlich nicht sagen, aber nur soviel - er hat in einem Wiener Luxushotel Garagenplätze dauergemietet, wo er eine zweistellige Anzahl von Luxusautos geparkt hat. Er erzählte dann noch Einiges über seinen Auftraggeber, von dem ich natürlich nichts wiedergeben kann, aber dieser Ferrari dürfte eher etwas aus der Portokasse sein, trotzdem muss auf dieses Schmuckstück geschaut werden, denn immerhin hat es ja ein wenig an Wert. Unser Student wird also in der Nacht die Fahrt im Zug nach Hamburg verbringen und sich dann zum Flughafen begeben, um in die Heimat zurückzufliegen. Wie aber kommt man zu so einem Job, er ist immerhin erst 20 Jahre. Sein Lebensziel ist die Formel 1 bzw. der Motor GP. Das war auch schon sein Kindheitstraum, somit hat er sich über die Fotographie in dieses Genre gekämpft, hat mittlerweile eine Agentur und ist bei allen Großveranstaltungen direkt am Ort des Geschehens dabei. Fotos verkauft er auch - alle Achtung - zielstrebig der Knabe.
Jetzt wird auch unser Pärchen langsam aufmerksam, denn diese Geschichten kann man auch bei anderen angenehmen Beschäftigungen nicht gänzlich ignorieren. Es stellt sich heraus, dass die Dame Sängerin im Wiener Musikverein war und unter anderem auch unter Karajan gesungen hat. Ihn hat sie als Despoten bezeichnet, mit dem sehr sehr schwer zusammen zu arbeiten war. Zumindest war dies ihre Erfahrung. Was sie und ihr Begleiter derzeit machen, kommt nicht heraus. Sie möchten nur wissen, da sie über Göttingen nach Hamburg fahren, was in Hamburg sehenswert wäre. Meine bescheidenen Kenntnisse gebe ich gerne weiter.
Mit all den Erzählungen ist es mittlerweile 1:30 geworden, der letzte Fahrgast für unser Abteil ist dann ebenfalls in Regensburg noch zugestiegen, und wir beschließen, dann doch mal ein Nickerchen zu machen.